Am 27. November 1917, heute vor 100 Jahren, starb Werner Leib aus Erfurt nahe Cambrai in Frankreich. Es war sein 24. Geburtstag. Keine gewöhnliche Krankheit oder Verletzung war es, woran er starb: Er »fiel«, wie es noch in unserer Zeit verharmlosend heißt, als deutscher Soldat im Ersten Weltkrieg. Er starb wie Millionen anderer einen denkbar sinnlosen und grausamen Tod in einem unfassbar schrecklichen Krieg, den Deutschland nicht allein, aber maßgeblich mit verschuldet und immer weiter verlängert hat. Werner Leib war mein Ururgroßonkel, und sein Tod berührt mich. Dass er ausgerechnet an seinem Geburtstag sein Leben ließ, setzt dem ganzen nur die Krone auf.
Welchen beruflichen Weg Werner eingeschlagen hatte, ich weiß es nicht. Da er Sohn und Neffe von Pfarrern war und Enkel, Neffe und Cousin von Lehrern, kann es gut sein, dass auch er etwas entsprechendes studierte, als er in den Krieg ziehen musste. Was für ein Mensch er war, auch das weiß ich nicht. Sein Porträtfoto scheint mir aber dafür zu sprechen, dass er eher denkerisch veranlagt war und ein freundliches, zurückhaltendes Wesen hatte. Ein Kommisskopf war er sehr wahrscheinlich nicht. Ob es einen Menschen gab, mit dem er gern sein Leben geteilt hätte, wäre es ihm vergönnt gewesen? Wir werden es nicht erfahren. Auch nicht, mit welchen Gefühlen er in den Krieg gezogen ist und ihn (mehrere Jahre lang?) an der Front erlebt hat. Gut möglich ist ja, dass er als Kind seiner Zeit und seines Milieus keineswegs ein Kriegsgegner war und fest daran glaubte, Deutschland sei im Recht und der Krieg von seinen Ursachen her gerechtfertigt; sein älterer Bruder Rudolf war eventuell sogar Berufsoffizier (auch er starb wenige Jahre nach Kriegsende an einem Leiden, das er sich im Krieg zugezogen hatte). Schwer vorstellbar allerdings, dass Werner den zermürbenden Stellungskrieg in Frankreich nicht als das empfand, was er war: grauenvoll.
Die Einzelheiten der sogenannten Schlacht von Cambrai im November und Dezember 1917, die im Ergebnis keine Veränderungen zwischen den Kriegsparteien brachte, müssen hier nicht interessieren. Für die verwitwete Mutter und nicht nur sie muss es furchtbar gewesen sein, die Todesnachricht zu erhalten. Der Tod für Herrscher und Vaterland wurde Anfang 1918 auch in der endlosen deutschen Verlustliste vermerkt.
Das entsetzliche Leid, das Abermillionen von Menschen weltweit in den beiden Weltkriegen und darüber hinaus erlitten haben, ist für immer eine dringende Mahnung zum Frieden. Mir wird schlecht, wenn ein prominenter rechter Politiker im Jahr 2017 meint, die NS-Zeit sei für uns irrelevant, und wir sollten ganz einfach »stolz […] sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen«. Diese Sichtweise ist völlig unverantwortlich und eine Schande für Deutschland.
Kai Drewes, 27. November 2017